Was ist integrative Lerntherapie?

Lerntherapie ist eine pädagogisch-psychologische Förderung im therapeutischen Setting. Das Hauptziel der „Strukturellen Lerntherapie“ ist es, die negative Lernstruktur in eine positive Struktur umzuwandeln. Leistungs-, Motivations-, Wahrnehmungs-, Selbstwert- und Verhaltensschwierigkeiten spielen in der Lerntherapie als lernhemmende Faktoren eine große Rolle (Betz/ Breuninger 1998, 5).

Anders als bei der Nachhilfe wird nicht nur an schulischen Inhalten gearbeitet, sondern an der „Basis“. Selbstbewusstsein, psychische Stabilität, Basiskompetenzen und Lernmotivation stehen im Vordergrund. Symbolisch kann man sich hier einen Baum vorstellen, der erst starke Wurzeln benötigt, damit er die Äste („schulische Leistungen“) tragen kann. Lerntherapeut*innen arbeiten ressourcenorientiert und setzen an den Fähigkeiten und Stärken des Kindes an. Somit liegt der Schwerpunkt eher an der positiven Beeinflussung der Ursachen von Lernstörungen als nur an der „oberflächlichen“ Arbeit an „Symptomen“.

Integrative Lerntherapie „integriert“ unterschiedliche Methoden aus Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Neurolinguistischem Programmieren (NLP), Fach- und Förderdidaktik, Systemtheorie etc. in einer integrative Lerntherapie und bezieht beispielsweise unterschiedliche Lerntechniken, Wahrnehmungsförderung auf vielfältigen Sinneskanälen (Basiskompetenzen), Lernkinesiologie, Lernmotivation, Konzentrationstraining, Grafomotorik, therapeutisches Zaubern, Methoden zur Stärkung des Selbstbewusstseins sowie Entspannungsmethoden mit ein. (Nach Absprache können auch Reflexintegration, Neurofeedback, sprachtherapeutische Elemente, wie beispielsweise eine Förderung/Therapie in Bezug auf AVWS stattfinden).

Eine tragfähige und vertrauensvolle Beziehung zum Kind ist in der integrativen Lerntherapie unabdingbar und grundlegend für den Lernerfolg. Deshalb ist der Beziehungsaufbau, gerade zu Beginn der Therapie, besonders bedeutungsvoll. Nach standardisierten Testverfahren zum Erfassen der Lese- und Rechtschreib- bzw. Rechenleistung (z.B. Diagnostische Bilderlisten, PLT, HAMLET 3-4, HSP, Oldenburger Fehleranalyse, HVT, ELFE 1-6, ZLT-II, HRT 1-4, MAESTRA 5-6+, BASIS-MATH 4-8 und/oder ERT JE) und einer informellen Diagnostik, führen wir, teilweise spielerisch, Konzentrations- und Aufmerksamkeitstests sowie Lerntypentests durch und bestimmen das Gehirnorganisationsprofil. Des Weiteren werden Basiskompetenzen (z.B. visuelle, auditive, taktile und vestibuläre Wahrnehmung sowie die Raumwahrnehmung) erfasst und weiter ausgebaut. Ressourcenkarten werden erstellt und Mentalkarten eingesetzt, die die psychische Stabilität mit unterstützen sollen. Zunächst wird an den Stärken des Kindes angesetzt. Der Danach wird am derzeitigen Lern- und Leistungsstand angeknüpft. Wir holen Ihr Kind dort ab, wo es steht!

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Durch das vielfältige Spiel- und Lernmaterial können die Kinder und Jugendlichen schneller ihre Kompetenzen ausbauen und nachhaltiger sowie ganzheitlicher lernen. Regelmäßiger Austausch mit Lehrkräften, evtl. weiteren Therapeut*innen sowie den Eltern sind ebenfalls konzeptionell vorgesehen. Sie erhalten auch Tipps zum Umgang mit Ihrem Kind sowie zahlreiche Spielideen.

Im Institut werden auch angehende integrative Lerntherapeut*innen und Dyskalkulie- bzw. Legasthenietherapeut*innen fachlich angeleitet und unterstützt und können dadurch bereits eigene Lerntherapien übernehmen.

Durch die Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarung mit der Region Hannover, wird die Lerntherapie nach §35 SGB VIII von den jeweiligen Jugendämtern übernommen, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen.

Bianka Bauermeister verfügt über die Zertifizierung des FIL (Fachverband für integrative Lerntherapie) und ist Gründungsmitglied sowie im Vorstand des AKQZ Integrative Lerntherapie. e.V. Der lerntherapeutische Verein ist „Anlaufstelle“ für Eltern, Lehrkräfte, Lerntherapeut*innen und Fachkräfte anderer Disziplinen.

Zur VereinswebsiteBroschüre zum Nachteilsausgleich

Wann ist Lerntherapie sinnvoll?

Lerntherapie hilft bei folgenden Entwicklungs- und Lernstörungen:

  • Dyskalkulie (Rechenstörung) und Rechenschwäche
  • Legasthenie/ Lese-Rechtschreibstörung, isolierte Rechtschreibstörung oder Lese-Rechtschreibschwäche
  • AD(H)S
  • Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten

Lese-Rechtschreib- und/oder Rechenstörungen zählen zu den „umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“, die im ICD-10 Kapitel V (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) aufgeführt sind (Weltgesundheitsorganisation 2010, 294f).

Lerntherapie kann auch in weiteren Bereichen eingesetzt werden:

  • Konzentrationsförderung
  • Motivationssteigerung
  • Verbesserung der Handlungsorganisation (Strategietraining)
  • Steigerung des Selbstwertgefühls beim Lernen
  • Beseitigung oder Verminderung von Schul- und/oder Prüfungsängsten etc.

Des Weiteren ist Lerntherapie und Lernberatung auch für Erwachsene geeignet, die sich auf eine Prüfung vorbereiten wollen (Stoffgliederung, Lernstrategien anwenden, Brain Gym ®/Lerngymnastik, Prüfungssimulation, mentales Training, Umgang mit Prüfungsstress, Verminderung der Prüfungsangst etc.)

Setting und Ablauf

Ein Konzentrationstraining, Strategietraining oder Lerngymnastik sind bereits ab 8-12 Sitzungen möglich. Das kann allein oder in der Kleingruppe erfolgen.

Eine Lerntherapie bei Lese-Rechtschreibstörungen oder Rechenstörungen dauert in der Regel 1-2 Jahre. Da Lerntherapie immer individuell auf das Kind abgestimmt ist, kommen nur Einzelsitzungen oder Therapie zu zweit infrage.

Eine traditionelle Lerntherapieeinheit dauert zwischen 45-60 Minuten (je nach Vereinbarung).

Zunächst findet ein Vorgespräch mit den Eltern statt. In diesem Gespräch und anhand eines zusätzlichen Anamnesebogens werden beispielsweise familiäre Strukturen, Entwicklung und Auffälligkeiten des Kindes, Fähigkeiten und Ressourcen, bisherige Gutachten, Diagnosen und Hilfen sowie Ziele und Unterstützungswünsche erfasst. Oft ist noch ein weiteres Gespräch zwischen allen Beteiligten sinnvoll.

Das Erstgespräch findet je nach Alter meistens ohne das Kind statt, damit dieses nicht „entmutigt“ wird. Ein Gespräch mit dem Kind kann aber ebenfalls sinnvoll sein. Die Teilnahme wird individuell entschieden und gegebenenfalls finden 2 Gespräche statt. Planen Sie für das Erstgespräch eine doppelte Sitzungslänge ein.

Danach kommt Ihr Kind ca. 3x zur lerntherapeutischen Diagnostik. Hier werden die visuellen und auditiven Wahrnehmungsfähigkeiten (sehen und hören in Verbindung mit der Lernauffälligkeit), motorische Entwicklungen (einschließlich Sitzhaltung und Graphomotorik/ Handschrift), emotionale und soziale Verhaltensweisen, die mit der Lernstörung zusammenhängen, Konzentrationsfähigkeit, das Gehirnorganisationsprofil, der individuelle Lerntyp und vor allem die Lese- Rechtschreib- oder Rechenleistung erfasst. Auf der Grundlage der lerntherapeutischen Diagnostik wird ein Therapieplan erstellt, der im weiteren Verlauf verändert und angepasst werden muss.

Danach fängt die eigentliche Therapie an. Die Eltern werden in die Therapie einbezogen. Elterngespräche dienen der Rückmeldung des Therapiefortschritts, des Austauschs und der Abstimmung zur Zusammenarbeit. Ein Austausch mit der Lehrkraft ist ebenfalls wünschenswert.

Der Stundenaufbau gliedert sich in verschiedene Einheiten wie Begrüßung/Ankommen, Übungen für einen lernbereiten Zustand, Konzentrations- und Arbeitsphase, Verankerung von Lerninhalten, Entspannungsphase (bei Bedarf), Lernspiel und Abschlussphase. Verhaltenstherapeutische Elemente sind integriert. Es wird mit „positiven Verstärkern“ gearbeitet.

Die Einheiten können variieren. Die Übungen sprechen immer verschiedene Wahrnehmungskanäle an, damit der Lerninhalt optimal verankert und gefestigt werden kann. Weitere Informationen bekommen Sie in der Praxis.

Rechenstörung/Dyskalkulie, Rechenschwäche:

Eine Rechenstörung ist eine Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein auf unangemessene Beschulung, mangelnder Hör- und Sehfähigkeit oder Intelligenzminderung zurückzuführen ist. Das Kind hat wesentliche Probleme mit den Grundrechenarten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Da es sich um eine Teilleistungsstörung handelt, müssen die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten des Kindes im Normbereich liegen.

Kennzeichen sind zum Beispiel Schwierigkeiten bei der visuell-räumlichen Wahrnehmung und dem diesbezüglichen Vorstellungsvermögen. Häufig haben die Kinder kein Zahlen- und Mengenverständnis und können die Zahlen nicht ordnen bzw. in die richtige Reihenfolge bringen. Sie können bestimmte Rechenoperationen und mathematische Zeichen (+, -, x, 🙂 nicht verstehen. Die Symbole werden oft nicht wieder erkannt. Schwierigkeiten beim Lernen des Einmaleins sind ebenfalls häufig (WHO 2010, S. 301ff).

Auffälligkeiten im Alltag, die das fehlende Mengen- und Zahlenverständnis beschreiben sind z.B. das Zählen/Rechnen unter der Zuhilfenahme der Finger, Schwierigkeiten beim Zehner- und Hunderterübergang, Probleme beim Einschätzen der Gewichts- und Maßeinheiten, Unsicherheiten im Umgang mit Geld und dem Lesen der Uhrzeit.

Emotionale Auffälligkeiten wie z. B. Bauchschmerzen vor dem Mathematikunterricht, Angst vor der Mathearbeit, eine geringe Frustrationstoleranz sowie ein niedriges Selbstwertgefühl kommen ebenfalls oft vor. Bei einer Rechenschwäche erreichen die Kinder in der Regel einen höheren Prozentrang als bei der Rechenstörung. Näheres ergibt sich aus dem klinischen Befund.

Lese- und Rechtschreibstörung, Legasthenie, Lese-Rechtschreibschwäche:

Die Lese-Rechtschreibstörung zählt zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Hauptmerkmal ist die Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht durch andere Gründe (z.B. Seh- oder Hörstörungen, mangelnde Intelligenz, unangemessene Beschulung) zu erklären sind. Oft ist das Leseverständnis oder die Wiedererkennung des gelesenen Wortes problematisch. Rechtschreibstörungen gehen oft mit Störungen der Lesefähigkeit einher. Meistens sind auch Störungen des Sprechens und der Sprache vorherrschend.

Fehler beim Vorlesen können zum Beispiel durch folgende Merkmale gekennzeichnet sein:

  • „Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Wörtern oder Wortteilen
  • Niedrige Lesegeschwindigkeit
  • Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile im Text und ungenaues Phrasieren
  • Vertauschung von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in den Wörtern“ (WHO 2010, S. 299)

Des Weiteren kann das Kind Gelesenes oft nicht wiedergeben, keine Zusammenhänge sehen und den Inhalt nicht verstehen. Meistens sind emotionale Probleme, Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivitätssyndrom, Störungen des Sozialverhaltens und/oder niedriges Selbstwertgefühl eine zusätzliche Belastung. Bauchschmerzen, Spannungskopfschmerz und Ängste vor Leistungsnachweisen im Fach Deutsch sind ebenfalls beobachtbar.

Es kann auch vorkommen, dass ein Kind eine „isolierte Rechtschreibstörung“ entwickelt, die nicht aus einer vorherigen Lesestörung resultiert. In der Regel handelt es sich hier um Probleme, Wörter korrekt zu schreiben und mündlich richtig zu buchstabieren.

In den diagnostischen Leitlinien werden die Begriffe „Störung“ und „Schwäche“ unterschieden. Bei einer Störung sind z. B. die Lese- Rechtschreibleistungen oft deutlich schlechter, als nach der Intelligenzentwicklung zu erwarten ist. Zudem ist eine Störung „komplexer“. Die Diagnose ergibt sich aus dem klinischen Befund.

Als Ursache für Legasthenie (spezielle Form der Lese- und Rechtschreibstörung) wird eine biologische Disposition favorisiert. Im Jahre 2005 wurde das Gen DCDC2 entdeckt. Dieses Gen steuert die Wanderung von Nervenzellen in das Sehzentrums des Gehirns (Schumacher et. al. 2005).

Bestimmte Chromosomen und dieser Gendefekt sind für die Probleme in der visuellen Wahrnehmung zuständig. Deshalb kann hier von einer lebenslangen Störung ausgegangen werden. Der Mensch lernt mit der Störung zu leben und besser mit ihr umzugehen.

Definition, Diagnostik und Erscheinungsformen

ADHS ist die „häufigste psychiatrische Störung der Kindheit. Die Häufigkeitsschätzzahlen liegen bei 4-8% der Kinder, wobei international von noch höheren Zahlen, nämlich 8-12% der Kinder dieser Welt, ausgegangen wird.“ (Eitle 2006, 12)

ADHS ist unabhängig von der Kultur und ebenso in allen Schichten existent.

Aufmerksamkeitsstörungen gehen mit unaufmerksamen Verhaltensweisen einher. Eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit sowie im psychosozialen Verhalten sind erkennbar. Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen weisen häufig schlechte Schulleistungen auf. Das Klassenziel wird teilweise nicht erreicht. Zudem sind die Interaktionen zwischen Eltern und Kind ebenfalls häufig belastet.

Zum Symptomkomplex der geringen Aufmerksamkeit und Ausdauer kommt häufig auch hyperaktives und impulsives Verhalten hinzu. Die hyperaktive oder impulsive Komponente ist jedoch nicht immer vorhanden. Der Begriff „Aufmerksamkeitsstörungen“ wird oft als Oberbegriff für die verschiedenen Subtypen von Aufmerksamkeitsstörungen verwendet.

Für die Diagnosestellung und die Einleitung therapeutischer Maßnahmen ist die Unterscheidung zwischen dem Vorhandensein oder Fehlen von Hyperaktivität von Bedeutung. Besteht zusätzlich zur Aufmerksamkeitsproblematik hyperaktives Verhalten, spricht man von ADHS, fehlt die hyperaktive Komponente, spricht man von ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Störung).

Eine entsprechende Diagnose erstellen z.B. MedizinerInnen mit entsprechender psychiatrischer Zusatzausbildung, PsychotherapeutInnen für Kinder und Jugendliche oder Psychologische PsychotherapeutInnen. Die Orientierung erfolgt anhand wissenschaftlicher Leitlinien. Es ist sinnvoll Fragebögen von ErzieherInnen, LehrerInnen und Eltern ausfüllen zu lassen, um ein umfassendes Bild zu erlangen.

Im Jahre 2002 wurde durch das BMGS (Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung) eine Eignung zur Diagnose und Behandlung von ADHS festgelegt.

Laut BMGS sind eine umfassende Diagnostik und Differenzialdiagnostik anhand der Klassifikationsschemata ICD-10 oder DSM-IV für die Diagnosestellung erforderlich.

ADHS im DSM-IV

Das DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist die vierte Version eines weltweit angewandten Klassifikationssystems für psychische Störungen, das im Jahre 1994 erstmals von der American Psychiatric Association herausgegeben wurde. Es handelt sich um Kriterienlisten, die als Richtlinien gelten und für die Diagnosestellung zu verwenden sind. Im DSM-IV wird ADHS aus den Symptombereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität definiert (vgl. Saß et al 2003).

Das beobachtete Verhalten muss seit mindestens sechs Monaten bestehen, nicht mit dem Entwicklungsstand des Kindes zu vereinbaren sein und als unangemessen beurteilt werden.

Der Bereich der Unaufmerksamkeit ist durch folgende Kriterien definiert:

  1. „beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder anderen Tätigkeiten,
  2. hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielaktivitäten aufrechtzuerhalten,
  3. scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen,
  4. führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig aus und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder von Verständnisschwierigkeiten),
  5. hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben oder Aktivitäten zu organisieren,
  6. vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben),
  7. verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug),
  8. lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken,
  9. ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich“ (ebd. S. 62f).

Die folgenden Punkte 1-6 sind Kriterien, die dem Symptombereich Hyperaktivität zugeordnet sind. Die Kriterien 7-9 umschreiben die Impulsivität:

  1. „zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum,
  2. steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf,
  3. rennt häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist,
  4. hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen,
  5. ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er/sie „getrieben“,
  6. redet häufig übermäßig viel,
  7. platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,
  8. kann nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist,
  9. unterbricht und stört andere häufig (platzt z.B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein)“ (ebd. S. 63).

Für beide Bereiche gilt, dass mindestens sechs Kriterien zutreffen müssen, damit Unaufmerksamkeit bzw. Hyperaktivität und Impulsivität diagnostiziert werden dürfen.

Weiterhin müssen einige Symptome schon vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein und aktuell in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten.

Nicht alle Kinder zeigen gleichzeitig Auffälligkeiten in allen drei Problembereichen. Die Unaufmerksamkeit ist bei einigen Kindern stärker und bei anderen wiederum schwächer ausgeprägt. Es gibt Kinder, deren Unaufmerksamkeit stark ausgeprägt ist, die jedoch geringe oder keinerlei Hyperaktivität oder impulsives Verhalten zeigen, und andersherum. Die Kinder unterscheiden sich in ihrem Verhalten deutlich. Um eine genauere Beschreibung dieser Subgruppe vorzunehmen können, wurden im DSM-IV Subtypen bestimmt:

  • F90.0 = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Mischtypus
  • F98.8 = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei vorherrschender Unaufmerksamkeit
  • 90.1 = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei vorherrschender Hyperaktivität und Impulsivitä

Weiterhin können eine „Teilremittierte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ (nicht alle Symptome werden zum gleichen Zeitpunkt gezeigt) und eine „Nicht näher bezeichnete Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ (F90.9) diagnostiziert werden. Unter letztgenannter Diagnose werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene zusammengefasst, die nur einige Symptome der Störung zeigen, jedoch nicht die erforderliche Anzahl der Kriterien aufweisen oder bei Beginn der Störung bereits sieben Jahre oder älter waren (ebd. S. 63-65).

Eine Aufmerksamkeitsstörung darf jedoch nicht diagnostiziert werden, wenn Verhaltensauffälligkeiten durch andere Störungen bedingt sind, wie beispielsweise depressive Störungen, Angststörungen, psychotische Störungen oder autistische Störungen.

Diagnosekriterien des ICD-10

Ein zweites Klassifikationssystem wurde von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, im Jahr 1992, publiziert. Die Kriterien des ICD-10 (International Classification of Diseases), Internationale Klassifikation der Krankheiten, unterscheiden sich nur geringfügig von denen des DSM-IV. Des Weiteren gibt es keine Kriterienliste bzw. das notwendige Vorhandensein einer gewissen Anzahl erfüllter Kriterien. Die Symptomatik wird stattdessen auf der Verhaltensebene beschrieben.

Im ICD-10 werden „hyperkinetische Störungen“ mit F90 kodiert. Bezüglich der Untergliederung hyperkinetischer Störungen herrscht weiterhin Unsicherheit (WHO 2010, S. 317). Bei Erfüllung der entsprechenden Merkmale wird die Diagnose „Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung“ vergeben, die mit F90.0 kodiert wird. Für die Diagnosestellung müssen eine beeinträchtigte Aufmerksamkeit und Hyperaktivität vorhanden sei.

Beschreibung der beeinträchtigten Aufmerksamkeit:

  • Aufgaben werden vorzeitig abgebrochen und Tätigkeiten nicht beendet.
  • Die Kinder wechseln häufig von einer Aktivität zur anderen. Das Interesse an einer
  • Aufgabe ist nicht über einen längeren Zeitraum konstant.
  • Die Ausdauerdefizite sind im Verhältnis zum Alter und Intelligenzniveau des Kindes sehr stark ausgeprägt.

Beschreibung der Hyperaktivität bzw. Überaktivität:

  • exzessive Ruhelosigkeit in Situationen, die relative Ruhe verlangen.
  • Herumlaufen oder Aufstehen in Situationen, in denen zum Sitzenbleiben aufgefordert wurde
  • ausgeprägte Mitteilungsbedürftigkeit oder „Zappeln“

Die folgenden Merkmale findet man gelegentlich bei ADHS. Diese stützen die Diagnose:

  • Distanzlosigkeit in sozialen Beziehungen
  • Unbekümmertheit in gefährlichen Situationen
  • Unterbrechen und Einmischen von Aktivitäten anderer Menschen
  • vorschnelles Beantworten noch nicht vollständig gestellter Frage

Soll die Diagnose einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung vergeben werden, muss die Symptomatik vor dem sechsten Lebensjahr begonnen haben. Finden sich neben den Merkmalen der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung sich wiederholende und andauernde dissoziale, aggressive oder aufsässige Verhaltensweisen, muss die Diagnose „Störung des Sozialverhaltens“ vergeben werden, die mit F91 kodiert wird (ebd. 321).

Komorbide Störungen: Viele Kinder, bei denen ADHS diagnostiziert wurde, entwickeln komorbide Auffälligkeiten. Das betrifft fast ein Drittel der ADHS-diagnostizierten Kinder. Die begleitenden Störungen können laut Döpfner zu zusätzlichen Risikofaktoren führen (Döpfner/Frölich/Lehmkuhl 2000a, 7). Dazu zählen Störungen des Sozialverhaltens, affektive Störungen, Sprachentwicklungsverzögerungen, Ticstörungen (Lippen lecken, Grimassen schneiden, Schulter zucken, Zischen, Bellen) und Lernstörungen wie Lese- Rechtschreibstörung oder Dyskalkulie (Krowatschek 2003, 33, Heineman/ Hopf 2006, 12).